»The Marvelous Mrs. Maisel« UND DIE BONBONFARBENE AUFERSTEHUNG DES LENNY BRUCE

Die neue Amazon-Serie »The Marvelous Mrs. Maisel« kommt etwas künstlich daher, präsentiert jedoch eine starke Frauenfigur, deren Entwicklung spannend werden könnte. Ein atmosphärischer Trip in die raue Welt der New Yorker Standup-Comedy der späten 50er Jahre und ein Denkmal für den legendären Comedian Lenny Bruce. Ein Must-See? Kind of, sort of, maybe.

Die vom Sog des Weinstein-Skandals krisengeschüttelten Amazon Studios lancieren derzeit die erste Staffel von »The Marvelous Mrs. Maisel«, eine Dramedy mit 8 Folgen à 45 Minuten, in der ein Reigen lieb gewonnener Nebendarsteller in einem in Zucker getauchten »Mad Men«-Dekor dem serienhungrigen Streaming-Publikum eine passende Serie für die Weihnachtszeit beschert.

Die Hauptrolle der Miriam Maisel wird von Rachel Brosnahan gespielt, die einem weltweiten Publikum durch ihre Rolle als unglückliche Prostituierte Rachel Posner in der ebenfals krisengeschüttelten Serie »House of Cards« bekannt geworden ist. Ganz gleich, ob »Mrs Maisel« mehrere Staffeln währt [eine 2. Staffel ist bereits in Produktion] oder bald schon gecancelt wird: Rachel Brosnahan findet hier ein ideales Vehikel, um sich für die erste Reihe in Hollywood warm zu laufen. Sie spielt Miriam Masel als eine Mischung aus Amelie, Mary Poppins und Jennifer Lawrence. Es ist eine postmoderne Glanzleistung, vor der man den Hut ziehen muss, auch wenn die Drehbücher hinter dieser Leistung zurückzufallen scheinen.

New York ist die zweite Hauptfigur

»The Marvelous Mrs. Maisel« spielt in einem idealisierten New York der späten 50er Jahre. Es zeichnet den durchaus amüsant zu verfolgenden Weg einer New Yorker Upper Class Tochter vom überperfekten Hausweibchen zu einer kraftstrotzenden Comedienne  nach. Miriam ist trotz größter (und von den Autoren zunächst holzhammerartig behaupteten) Cleverness vollständig in den engen gesellschaftlichen Korsetts der Zeit gefangen. Wenn sie durch die Straßen läuft, erwartet man jederzeit, dass sich irgendein Dick van Dyke um eine Laterne schwingt und mit ihr eine Musicalszene aufführt.

Miriam begleitet als servile Kumpanin und Hausfrauen-Pinup ihren Ehemann, einen windbeuteligen Loser namens Joel (gespielt von Michael Zegen), in die Beatnik-Clubs von Greenwich Village. Joel träumt davon, Comedian zu werden, und Miriam unterstützt ihn nach Kräften. Sei es, dass sie kulinarische Köstlichkeiten zur Bestechung des Clubmanagers zaubert, so dass Joel einen besseren Timeslot im Open-Mike-Programm des »Gaslight« ergattern kann, oder dass sie mit unerschütterlich guter Laune die Infrastruktur erschafft, in der sich ihr Ehemann auslebt. Ausgerechnet 2017, dem Jahr der #MeToo-Bewegung, eine solche Frauenfigur vorgeführt zu bekommen, ist eine schwer erträgliche Übung, von der man jedoch schnell erlöst wird.

In den ersten Minuten zeigt uns die Serie ein allzu perfektes Paar, dessen Hochmut und We-will-take-them-all-Attitüde anstrengt. Miriam Maisel wirkt überzeichnet, ihr Ehemann Joel eher unsympathisch, frei von Charisma. Die zunächst kaum erträgliche Selbstinszenierung der Hauptfigur als Überfrau, die sich morgens vor dem Erwachen ihres Mannes heimlich zurecht macht, um als strahlende Schönheit zu erwachen, der kein Nachtschweiß etwas anhaben kann, dürfte versierte Seriengucker fast schon zum Abschalten bringen, würde nicht ohnehin alles auf die Vernichtung der Fassade zusteuern. Wer durchhält, wird mit einer durchaus ungewöhnlichen Serie belohnt, die hier und da gute Dialoge und nette Einfälle hat und vielleicht noch mutiger wird. Das Besondere an der Serie ist zweifelsohne das Setting: der kleine, aber feine Einstieg in die Geschichte der Standup-Comedy.

Nachdem Miriam zunächst herausfindet, dass ihr Ehemann das Material für seine Auftritte bei Bob Newhart klaut, außerdem eine Affäre mit seiner Sekretärin begonnen hat und sie verlassen will, beginnt ihr perfektes Puppenheim zu zerfallen. Miriams Eltern (gespielt von Tony Shaloub und Marin Hinkle)  haben keinerlei Verständnis für das Scheitern der Ehe und geben Miriam die Schuld.  Sie betrinkt sich und stürmt ins »Gaslight«, wo sie unter größtem Applaus eine Comedy-Routine improvisiert, blank zieht und von der sittenstrengen New Yorker Polizei abgeführt wird. Trost findet sie in der vermeintlichen Antagonistin Susie Meyerson, der Barfrau und butchigen Managerin des »Gaslight«, großartig und amüsant gespielt von Alex Borstein (bekannt als Stimme von Lois Griffin in Family Guy). Sie erkennt Miriams natürliches Talent für Bühne und exaktes Timing und versucht aus dem Unfall eine Berufung zu machen.

Der Elefant im Raum: Lenny Bruce

Wie schon in der bahnbrechenden Serie »Mad Men« werden in »The Marvelous Mrs. Maisel« die New Yorker Bars und Clubs als Hort der Subkultur gefeiert. Während »Mad Men« den US-Lyriker Frank O’Hara im Nachhinein in den Mainstream gezogen hat, tritt in »Mrs. Maisel« bereits in der ersten Folge ein fiktionalisierter Lenny Bruce (Luke Kirby) auf. In Deutschland ist dieser legendäre Comedian wenig bekannt, in den USA gilt er als vermutlich wichtigster Urvater des Standups. Er ist Vorbild von Größen wie George Carlin, Richard Pryor bishin zu heutigen Granden der Standup-Szene.

Inszeniert wird Lenny Bruce in dieser Serie jedoch nicht als vielschichtiger Vorreiter, sondern als weichgespülter James Dean, ein Klischee gewordener Outlaw mit Trenchcoat und Zigarette. Das ist schade und unverständlich, hätte man doch auch schlicht eine fiktive Figur erschaffen oder dem fiktionalisierten Lenny etwas mehr Kanten verleihen können. Seine Sprache und die eigenwillige Gagstruktur seiner Auftritte hingegen werden im Auftreten und Sprechen der fiktiven Miriam Maisel durchaus überzeugend nachgebaut.

Der reale Lenny Bruce, der seine allerersten Auftritte als »Lenny Marsalle« absolvierte, kam aufgrund der miefigen Obszönitätsgesetze mehrfach mit den Behörden in Konflikt und erlebte Mitte der 60er Jahre defacto eine Art landesweites Blacklisting, da Comedyclubs ihn aus Angst vor den Behörden nicht mehr auftreten ließen. 1964 wurde er in einem Aufsehen erregenden Prozess zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt. Zwar wurde er nach seinem frühen Tod 1966 vollständig rehabilitiert, doch bleibt es irritierend, dass eine so leichtfüßig daher kommende Serie einen Menschen, dem so viel Unrecht widerfahren ist und dem sie ein Denkmal setzen will, derart schablonenhaft aufruft. Lenny Bruce muss als Figur als möglicher Rom-Com-Partner für Miriam Maisel herhalten und soll doch zugleich Inspiriation für diese Frauenfigur sein, die in dieser Form in jener Zeit sicher nicht möglich gewesen wäre.

Dennoch schwingt der Sound des Lenny Bruce durch die besseren Momente der Serie. Wann immer man denkt: So natürlich, clever und doppelbödig-frech wie Miriam Maisel kann doch niemand in den 50ern gesprochen haben, braucht man nur ein YouTube-Video mit einem der wenigen Aufzeichnungen von Lenny Bruce anzuschauen, und man versteht, dass die Serie nicht nur ahistorisches Wish-Fulfillment à la Aaron Sorkin ist. Es gab diesen Ton in den 50ern, den die Figur der Miriam Maisel mal mehr, mal weniger überzeugend vor sich her trägt. Es gab auch bereits jenen anspielungsreichen, gesellschaftlich relevanten Metahumor, den wir heute eher mit George Carlin oder Comedians der 2000er verbinden. Die Serie verbeugt sich allerdings auch vor dem neurotischen, selbstbezogenen, absurden Humor von Woody Allen, Larry David und Jerry Seinfeld. Dieser findet seine Berücksichtigung nicht auf den Comedy-Bühnen, sondern in den Dialogen der Figuren. Beide Humortraditionen sind Grundpfeiler der US-Kultur, allerdings scheint der Spagat, beide zugleich einzusetzen, ein schwieriges Unterfangen. Es ist ein kleiner Verrat an den Figuren, den Stadtneurotikerhumor in die ernsten Seiten der Serie zu mischen.

Eine Verschmelzung von Gilmore Girls und Mad Men

Bereits nach der ersten Folge erscheint es daher unwahrscheinlich, dass das neuste Amazon-Produkt je zu der Tiefe vorstoßen wird, zu der das sieben Staffeln umfassende Meisterwerk »Mad Men« von Matthew Weiner fähig war. Um fair zu bleiben: Diese Messlatte haben die Macher von »Mrs. Maisel« vermutlich gar nicht angestrebt. Die Serienschöpferin Amy Sherman-Palladino hat zuvor das bis heute erfolgreiche »Gilmore Girls« geschrieben und produziert, eine clevere Wohlfühlserie, in der Tiefe und Abseitigkeit in jedem Dialog, in jeder Interaktion, in jedem Manierismus behauptet wird, bei genauerer Betrachtung aber nur das Gerüst einer Soap Opera übrig bleibt. Bei aller Begeisterung für »The Marvelous Mrs. Maisel« ist eine gewisse Skepsis also angebracht.

Der pink-versternte Schriftzug in Intro und Abspann, das verkitschte New York, der etwas ungelenke Versuch, das engstirnige High Society Leben der 50er in Form einer postmodernen Doris-Day-Wiedergängerin zu porträtieren, birgt Klippen, die der durchaus ernsthaften Figur der Miriam Maisel schaden. Die reizvolle Idee, eine Serie im Milieu des von den Beatniks heimgesuchten Greenwich Village und der Comedy-Szene New Yorks anzusiedeln, wird durch den nicht sehr gelungenen Komödien-Anteil, der beispielsweise in den  überzogenen Dialogen zwischen Miriams Eltern zum Ausdruck kommt, unnötig verspielt.

Die recht vorhersehbare Handlung der Pilotfolge ist verzeihlich, Serienstarts haben es immer schwer. Es ist im Gegenteil durchaus beeindruckend, wie die Pilotfolge genug Zeit und Raum findet, Dinge nicht nur zu behaupten, sondern aufzubauen, anzudeuten und zu erzählen. Das macht Hoffnung auf einen intelligenten und komplexen Fortverlauf, auf erzählerischem Atem. Die zweite Folge eröffnet dankenswerter Weise mit einem lädierten New York, und es ist zu hoffen, dass der Seelenzustand der Figur der Miriam Maisel immer auch in der Wahrnehmung der Stadt durch die Kameralinse zum Ausdruck kommt.

Das Hauptproblem ist, dass die Serie selbst komisch und federleicht sein will. Das ist dem Thema keineswegs angemessen.  Um dauerhaft interessant zu bleiben, muss das komödiantische Element zurückgefahren werden, Miriam Maisel sollte nur auf der Bühne wirklich witzig sein. Ob sich die Serie zu größerem aufschwingt oder in berieselnder Wohfühl-Weinachtsatmosphäre verharrt, bleibt erst einmal unklar. In der narrativen DNA ist die Fährte zu beidem gelegt. Die Chemie zwischen Rachel Brosnahan und Alex Borstein stimmt, das Setting ist wenig ausgelotet und macht Freude. Sehenswert ist »The Marvelous Mrs. Maisel« in jedem Fall, vergnüglich ohnehin. Don’t sue me though, if it jumps the shark.

[Diese Einschätzung erfolgt nach Folge 3].

»The Marvelous Mrs Maisel« | Amazon Prime | 8 Folgen | IMDB Rating 9,0

 

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